Interview #5: Mirja Brandorff

Welche Erfahrungen machen andere mit Nature Journaling? Hier sprechen Nature Journalerinnen und Journaler darüber wie sie zum Nature Journaling gekommen sind, wie sie ihre ersten Seiten erstellten und wie sie nun Journalen oder welche Materialien sie verwenden. Hier erhältst Du Tipps aus erster Hand: Inside Nature Journaling

Mirja Brandorff ist Künstlerin, Illustratorin, Nature Journalerin, Naturführerin und Autorin. 2022 erschien in den Niederlanden ihr Buch „Natuurjournalen“.  

Mirja, wie bist Du auf Nature Journaling aufmerksam geworden?

Mirja Brandorff: Solange ich mich erinnern kann hatte ich Interesse für die Natur. Ich spielte gerne draußen und entdeckte dabei allerlei Tierchen und Pflanzen. Ich wollte alles darüber wissen. Als ich etwa 8 Jahre alt war begann ich mich für Vögel zu interessieren. Das war auch der Moment, an dem ich ein Notizbuch mit nach draußen genommen hatte. Ich schrieb und zeichnete alles über die Vögel die ich sah darin. Zuhause suchte ich dann in Naturführern nach den entsprechenden Informationen.       

Dies war auch der Anfang meines Nature Journals. Damals hatte ich auch noch gar keinen Namen dafür. Im Laufe der Zeit zeichnete ich auch Schmetterlinge und andere Insekten und Pflanzen.

Das habe ich so beibehalten, obwohl es in meinem Leben auch Phasen gab, in denen ich mich mehr mit malen von Bildern beschäftigte. Vor etwa 10 Jahren begann ich erneut damit, die Natur in der Form von Zeichnungen und Notizen fest zu halten. Das machte mir viel Freude und so wurde es eine Selbstverständlichkeit für mich. Von meinem Umfeld erhielt ich den Rat, mein Naturtagebuch online mit anderen zu teilen, da das Naturtagebuch doch eigentlich „zu schön sei, um es ausschließlich für mich selbst zu nutzen“. Das war der Anfang meines Blogs. Ungefähr zur selben Zeit eröffnete ich einen Account auf Facebook und später auch auf Instagram.

Das war der Zeitpunkt, an dem ich die Online-Nature-Journaling-Community kennenlernte.

Ich taufte meine Naturaktivitäten „Naturejournaling“. Die Tatsache, dass ich online Leute mit denselben Interessen treffen konnte, stimulierte mich ungemein. Ich lernte viele neue Dinge und ich entwickelte noch mehr Enthusiasmus.  

Was reizt Dich an der Naturforscher bzw. wissenschaftlichen Seite von Nature Journaling?

Ich denke, das die Kultivierung und Intensivierung der Neugier und der Entdeckungsfreude eine schöne Seite des „Natuurjournaling“ darstellt. Eigentlich ist dies ein Prozess, bei dem man sich bewusst wird von den Fragen die man stellt. Ich merkte selbst wie ich die Neigung hatte, Neugier und das Stellen von Fragen zu unterdrücken. Erst das Naturjournalen machte mich dafür bewusster. Meine Fragen führten wieder zu Entdeckungen, die es sonst nicht gegeben hätte. Es ist nämlich die Natur selbst, die voll von Entdeckungen und Geschichten ist. Hinter etwas anscheinend unbedeutenden, wie verschrumpelte Blätter an einer Weide, verbirgt sich dann die Geschichte einer Gallmücke.

Das Internet kann uns direkt Antworten auf unsere Fragen liefern, aber das selbst entdecken und das Gefühl, etwas auf der Spur zu sein oder ein Mysterium zu entwirren ist viel aufregender, wenn man selbst untersucht.    

Es gibt auf unserer Erde so unwahrscheinlich viel zu entdecken. In der Natur der eigenen Umgebung verwunderst du dich über all die Lebensformen mit ihren eigenen Geschichten. Ich habe großen Respekt vor allem was lebt und bedenke das ich diesen Respekt wie einen großen Reichtum hüten muss. 

Du veranstaltest auch Nature Journaling-Workshops, bei denen Du den Leuten das Journalen näher bringst. Kannst Du uns beschreiben, wie ein solcher Workshop bei Dir abläuft?

In meinen Workshops betone ich besonders das Observieren mit all unseren Sinnesorganen. Ich will zeichnen und schreiben als Mittel anreichen um besser zu observieren und mehr zu entdecken. Es geht nicht darum, ein schönes Bild zu produzieren. Aus diesem Grund starte ich meine Workshops mit einigen Observationsübungen. Wenn ich draußen in der Natur einen Workshop gebe, bin ich immer mit den Teilnehmern einige Minuten völlig still. So können die Teilnehmer erst einmal bevor wir anfangen, die Umgebung vollständig auf sich einwirken lassen. Manchmal erstellen wir auch eine Geräusch- oder Lautkarte.  

Mit dem Ziel gut zu schauen, lasse ich die Teilnehmer zudem Übungen im Skizzieren machen. Ich zeige ihnen dann vor Ort, wie man so etwas macht sodass alle sehen können, dass auch ich nicht in wenigen Minuten ein Kunstwerk erschaffen kann. Das hilft dabei die Blickrichtung vom Schönzeichnen zum Zeichnen als Mittel zur besseren Wahrnehmung zu verlegen. Das Thema „assoziieren“ kehrt auch stets in meinen Workshops wieder zurück. Die Teilnehmer wählen auf dem Tisch liegendes natürliches Material aus, wie Blätter, Tannenzapfen, Vogelfedern, Schneckenhäuser usw. Das Material selbst suchen ist auch möglich, dann lasse ich die Teilnehmer fühlen, riechen, schauen hören und eventuell schmecken.  Dann empfehle ich den Teilnehmern, ohne viel darüber nachzudenken, ihre Erfahrungen sofort zu notieren. Dann frage ich auch nach den Assoziationen und Erinnerungen, welche bei ihnen geweckt werden. Ich finde nämlich, dass es bei „Natuurjounalen“ nicht nur um die Außenwelt geht, sondern auch darum, welchen Effekt die Natur auf unser Innenleben hat. Die Effektuierung dieser Erinnerungen ergibt oft schöne Geschichten. Einer der Teilnehmer erinnerte sich während eines Webshops zum Beispiel, wie sein Vater kleine Flöten aus Zweigen schnitzte. Eine prächtige Erinnerung! Der Teilnehmer kam dadurch auf die Idee, es nun selbst auch zu probieren.  

Daneben stimuliere ich die Teilnehmer dazu, neugierig zu bleiben, sich ihren Fragen bewusst zu sein und diese auch zu notieren. Es geht nämlich darum erst selbst weiter zu untersuchen und nicht sofort die Antwort bei Google zu suchen.

In meinen Workshops wähle ich oft ein Thema, das zur derzeitigen Saison passt. Im zweiten Teil des Workshops stelle ich das zu benutzende Material vor, nach dem wir das Thema ausarbeiten. Zum Abschluss zeigen die Teilnehmer einander ihre Arbeiten. Ein Naturjournal eines Anderen zu sehen ist eine besondere Erfahrung, denn man wird Teilhaber der Denkprozesse des Anderen. So lernen wir auf eine besonders schöne Weise das Weltbild eines Anderen kennen! 

Wie planst Du Deine Nature Journaling-Workshops? Es gibt ja bisher keine Train-the-Trainer-Ausbildung, nutzt Du auch das Buch „How to Teach Nature Journaling“ als Anregung?

Da es ein so neues Phänomen ist, gibt es kein Trainingsprogramm zur Ausführung von ‚Natuurjournaling‘-Workshops. Ich begann mit meinen Erfahrungen und meinem Hintergrund als Jugendnaturleiterin. Ich führe Exkursionen in der Natur durch und gebe als Gastdozent Kurse um bei Kindern von Grundschulen in Kontakt mit der Natur in ihrer direkten Umgebung zu bringen, ihre Neugier zu entwickeln und sie zu stimulieren selbst Forschungen anzustellen. Daneben verfüge ich über jahrelange Erfahrung bei der niederländischen Naturorganisation IVN (Instituut voor natuureducatie en duurzaamheid, dt. Institut für Naturbildung und Nachhaltigkeit), wo ich an Naturexkursionen und Vorträgen teilnehme und selbst gebe. Ich bin bereits seit meiner Kinderzeit Mitglied des IVN.    

Die Erfahrungen aus meiner Kinderzeit im Zeichnen der Natur und die Kenntnis die ich über Naturjournalen aus der Literatur erfahren habe, bilden den natürlichen Grundstock der von mir angebotenen Workshops. Die Inhalte formen eine Kombination der Dinge die ich sehr gerne und passioniert tue. Es ist wunderbar, meine Erfahrungen und Kenntnis mit anderen teilen zu können.  

John Muir Laws hat mal gesagt, dass er den Bay Area Nature Journal Club auch gegründet hat, weil er gemerkt hat, dass die Leute mehrfach zu seinem Workshops kommen, aber es manchmal nicht schaffen, regelmäßig zu Journalen oder aufgeben. Der Club konnte da mit regelmäßigen Treffen helfen. Wie sind Deine Erfahrungen mit dem „dran bleiben“? Welche Tipps hast Du?

Oft bekomme ich Reaktionen von Teilnehmern meiner Workshops, die besagen dass man es schwierig findet, das ‚Natuurjournalen‘ selbstständig weiter zu betreiben. Dies, obwohl man es gerne selbst fortsetzen möchte. Die Teilnehmer vermissen die Gruppe: Einander zu treffen, zusammen etwas machen und Erfahrungen auszutauschen: das ist ihnen wichtig. Man hat den Wunsch einander regelmäßig zu treffen. Ich  suche selbst noch nach einer zuganglichen Weise, so etwas zu organisieren.

Ein wichtiger Tipp für die Teilnehmer ist, klein zu beginnen. Es ist nicht nötig, eine ganze Seite mit Skizzen und Notizen zu füllen. Das Festhalten von kleinen Observationen auf einer Ecke der Seite ist auch prima. Zudem füllen mehrere dieser kleinen Skizzen auf die Dauer die ganze Seite. Eine der schwierigsten Sachen ist das Resultatdenken, welches die Teilnehmer loslassen müssen! Dieses Denken wirkt bremsend auf den kreativen Beginn. Ich raten den Teilnehmern immer in einem billigen Skizzenbuch zu beginnen. So wird es leichter, Seiten voll zu zeichnen ohne dem Gefühl zu erliegen, die Seite vergeudet zu haben.   

Ein anderer Tipp von mir ist das fertigen einer Farbpalette eines Objektes aus der Natur: einen Zweig, ein Blatt, der Himmel oder den Baum gegenüber.  

Buchumschlag von „Natuur journalen“ mit Zeichnungen von Mirja Brandorff.

Letztes Jahr wurde Dein Buch „Natuur journalen“ veröffentlicht. Meines Wissens das erste europäische Buch über Nature Journalen. Wie kam es dazu?

Das stimmt. Ich finde es noch immer ganz außergewöhnlich, wie das passiert ist. Es war eigentlich gar nicht mein Plan, ein Buch zu schreiben, denn ich war nur damit beschäftigt dem ‚Natuurjournalen‘ über meine Website und meinem Blog in den Niederlanden mehr Bekanntheit zu geben. Über meinen Blog wandte sich ein Literaturvertreterin an mich. Sie war sehr enthusiastisch über meine Zeichnungen und meinen Schreibstil. In dem Moment herrschten die Corona-Lockdowns und viele Menschen entwickelten Interesse für die  Natur in ihrer unmittelbaren Umgebung. Die Literaturvertreterin war positiv bezüglich des Verlegens eines Buches über ‚Natuurjournalen‘. Hieraus ist die Zusammenarbeit mit dem Verlag MUS entstanden. Selbst bin ich im Augenblick damit beschäftigt ein zweites Buch herauszubringen: ‚Natuurjournalen‘ für Kinder!

Welche Inspirationen holst Du Dir? Welche Webseiten besuchst Du? Kaufst Du Dir spezielle Bücher (auch außerhalb vom Nature Journaling)? Wie sind Deine Erfahrungen damit?

Die überaus meisten Inspirationen hole ich mir aus der Natur selbst. Aus Fachbüchern entdecke ich auch die notwendigen Ideen und Anregungen, wie beispielsweise How to teach Nature Journaling  und Nature Drawing and Journaling  von John Muir Laws und Bücher von Clare Walker Leslie. Ich bewundere ihre Arbeiten sehr, da sie sehr inspirierend und zugänglich ist. Daneben liebe ich „the country diary of an Edwardian“ Lady von Edith Holden und das frühe Werk von Marjolijn Bastin und die Arbeit des niederländischen Illustratoren Jan Wartena Auch das zugängliche Buch der australischen Autorin Paula Peters inspiriert mich sehr.     

Studien und Skizzenbücher von Künstlern sind auch sehr interessant; interessanter selbst wie die Arbeiten die daraus fortgekommen sind.

Sehr wichtig finde ich, zusammen mit anderen Natur und Kreativität zu erleben. Dies ist in hohem Masse stimulierend und  inspirierend und bedeutet, mich mit anderen zu verbinden, sowohl offline als auch online.

Du spricht auf Deiner Webseite von „Natuurjournalen“. Ist das in den Niederlanden ein Begriff der direkt verstanden wird?

Genau wie im Deutschen gibt es auch im Niederländischen kein Wort für ‚Naturejournaling‘. Zusammen mit dem Verleger habe ich das Wort ‚Natuurjournalen‘ als das niederländische Variant für Nature Journaling erdacht. Ich selbst gebrauchte das Wort Naturtagebuch, welches aber als Verb unbrauchbar ist. Dasselbe Problem besteht auch im Deutschen.

In Deutschland ist Nature Journaling noch recht unbekannt. Es gibt viele die über große Naturbeobachtungsplatformen ihre Bilder teilen usw., aber Nature Journaler sind selten. Wie bekannt ist Nature Journaling in den Niederlanden?

Auch in den Niederlanden ist das Phänomen ‚Natuurjournalen‘ noch unbekannt. Ich merke aber, das dies langsam verändert, und das ist gut! Das allgemeine Bild von ‚Natuurjournalen‘ macht die entsprechende Definition nicht gerade leicht. Worum geht es eigentlich: Zeichnen? Natur? Kreativität? Botanisch Zeichnen? Forschung? Der Begriff passt nicht in die unterschiedlichen Gebiete, sondern in mehrere zugleich.

Die Natur ist zur Zeit in de Niederlanden sehr ‚hip‘. Das war vor 10 Jahren noch völlig anders. Dinge wie Wildpflücken [„Wildplukken“ in den Niederlanden, in Deutschland auch als „Essbare Wildpflanzen“], Bushcraft  und Naturexkursionen werden nun an vielen Orten angeboten. Ich denke dass ‚Natuurjournalen‘ gut damit kombiniert.  

Wow, da hast Du ein einige interessante Dinge erwähnt. Ein sehr inspirierendes Interview. Danke Mirja. Das man nicht immer alles gleich Googlen muss, Dein animieren zum Observieren und auch wie sich Nature Journaling begrifflich genau definiert – darüber werde ich noch etwas nachdenken. Weitere Infos zu Veranstaltungen und Einblicke in Mirja Brandorffs Journale erhaltet ihr hier.

Webseite: https://www.mirjanatureart.nl
Instagram: www.instagram.com/mirja_natureart @mirja_natureart