Interview #9: Katja Bozarth

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Welche Erfahrungen machen andere mit Nature Journaling? Hier sprechen Nature Journalerinnen und Journaler darüber wie sie zum Nature Journaling gekommen sind, wie sie ihre ersten Seiten erstellten und wie sie nun Journalen oder welche Materialien sie verwenden. Hier erhältst Du Tipps aus erster Hand: Inside Nature Journaling.

Katja Bozarth ist Comiczeichnerin (hallomolly.de), Nature Journalerin, Initiatorin des Nature Journal Clubs Marburg und unterrichtet Grundschulkinder in Nature Journaling.

Katja, wie bist Du auf Nature Journaling aufmerksam geworden?

Katja Bozarth: Ich habe in der Pandemie mit dem Zeichnen angefangen, zunächst einmal nur Comics. Ich hatte schon eine Figur, die auf meinem Hund (einem Airedale Terrier) basierte und dann habe ich gleich damit angefangen weitere Charaktere zu entwerfen und lustige Bilder zu malen, mehr schlecht als recht am Anfang.
Um mich zu verbessern fing ich an, mich nach Zeichenbüchern umzuschauen und hatte sehr schnell eine große Menge Bücher auf meiner Wunschliste. Meine Schwiegermutter schenkte mir dann zu Weihnachten von dieser Liste John Muir Laws’ Buch. Ich fand das Buch toll, habe aber am Anfang noch nicht so richtig verstanden, was das Ganze eigentlich wirklich sollte…
In der Zwischenzeit hatte ich schon angefangen bei einer kanadischen Künstlerin (Ramona MacLean) über Zoom Zeichenunterricht im Bereich Cartooning zu nehmen. Sie schwärmte in einer Stunde von Nature Journaling und den Videos, die Jack auf seiner Webseite habe. Da wir einen sehr ähnlichen Geschmack haben, dachte ich, na gut, dann gucke ich mir das dann auch mal an, das Buch ist ja auch sehr nett…
Fast forward: Monate später war ich tendenziell total besessen von den Videos, Netflix war vergessen und ich saß mit viereckigen Augen vor meinem iPad und habe alle von Jacks Infos und Zeichentechniken aufgesogen wie ein Schwamm. Am Anfang habe ich allerdings nicht selbst gejournalt, sondern bei den Tutorials direkt mitgezeichnet.

Und wie hast Du dann mit Deinem ersten Nature Journal-Seiten angefangen?

Ich hatte schon ein Sketchbook, aber es hat einige Zeit gedauert, bis darin meine ersten Nature Journal-Seiten aufgetaucht sind. Es wundert mich im Nachhinein immer noch, denn sonst bin ich jemand, der nicht lange fackelt. Ich finde allerdings auch, dass Nature Journaling schwer zu erklären ist, wenn man es noch nicht selbst ausprobiert hat, besonders Jacks Methode mit “I notice, I wonder, it reminds me of” erschließt sich erst durchs Tun.
Nach der ersten “richtigen Seite” hatte ich sofort das Gefühl, etwas gefunden zu haben, von dem ich gar nicht gewusst hatte, dass ich es gesucht hatte! Endlich war da etwas, mit dem ich wieder mehr zur Natur finden konnte und es mit dem Zeichnen (und meinen Comicfiguren) kombinieren konnte! Endlich hatte ich wieder einen Grund richtig hinzuschauen, die Natur zu erforschen und mittendrin zu sein, so wie damals in der Kindheit! Es war wie ein inneres Feuerwerk!

Aus einem Nature Journal von Katja Bozarth über Blattläuse (Aphidoidea).

Wo holst Du Dir Inspirationen?

Meine Hauptinspirationsquellen sind glaube ich immer noch John Muir Laws und meine Zeichenlehrerin Ramona, die mir jede Woche ihr Journal zeigt und immer wieder frische, tolle Seiten zaubert. Ansonsten bin ich noch ein großer Fan von Kate Rutter und Mark Simmons, deren lockerer, verspielter und humorvoller Stil mir sehr zusagt. Wahrscheinlich ist die größte Inspiration aber die Natur und das Draußen-Sein. Besonders mit meiner Taschenlupe unterwegs entdecke ich immer wieder faszinierende Mikrowelten, die mich begeistern.
Mich inspirieren aber auch oft Dinge, die erstmal gar nichts mit Nature Journaling zu tun haben, ich habe z.B. neulich einen Quastenflosser nach Fotos gejournalt, nachdem ich ein Porträt über Hans Fricke im Buch “Ein Leben für den Ozean” gelesen hatte, der damals der erste Forscher war, der einen lebenden Quastenflosser entdeckt und fotografiert hatte.
Die Inspiration kann aber auch komplett absurd sein, sodass ich zum Beispiel auf einmal furchtbar Lust habe einen Kraken zu journalen, nachdem ich eine Folge “Drei Fragezeichen” mit meinem Sohn gehört habe, die am Meer spielt (lacht).
Generell lese ich sehr viel und bin da auch breit aufgestellt, außerdem gehe ich gerne in Museen und wir reisen viel durch Europa, da gibt es immer etwas zu entdecken!

Wie erstellt Du Deine Seiten? Bist Du eher der Park- oder der wilde Wald-Typ?

In Feld und Wald bin ich meistens mit meinen drei Kids, meinem Mann und zwei Hunden unterwegs und da habe ich leider keine Zeit und Ruhe zum Journalen, insofern mache ich dort meistens schnell ein paar Fotos und erstelle die Seiten dann zu Hause mit Hilfe der Fotos.
Meistens journale ich allerdings direkt draußen in meinem Garten. Wir haben vor ein paar Jahren einen naturnahen Garten angelegt und dort gibt es immer viel zu entdecken, ich bin sehr dankbar für unseren Garten.

Du schreibst Deine Journalseiten immer in Englisch und bist auch hauptsächlich in den englischsprachigen Nature Journaling-Foren aktiv. Wie kommt’s? Wie siehst Du überhaupt Nature Journaling in Deutschland?

Ja, das kommt einem bestimmt erstmal komisch vor! Zu meinem Hintergrund: Ich bin seit 20 Jahren mit meinem amerikanischen Mann zusammen und wir sprechen zu Hause nur Englisch und erziehen auch unsere Kinder auf Englisch. Das heißt auch in Folge, dass fast all unsere Bücher auf Englisch sind, wir schauen Netflix auf Englisch, die meisten Hörbücher und Podcasts sind auf Englisch etc… Für mich ist es einfach mittlerweile die Sprache, in der ich mich natürlicherweise ausdrücke, selbst meine Einkaufslisten sind auf Englisch.
Zum Nature Journaling hierzulande:
Ich denke, dass Nature Journaling in Deutschland noch in den Kinderschuhen steckt, aber ein unglaubliches Potential hat, da ich uns Deutsche schon als recht naturverbunden einschätze. Man muss sich z.B. nur mal den Nabu anschauen mit seinen 900.000 Mitgliedern, das ist schon eine recht ordentliche Zahl! Auch unsere Umweltbewegung in den 80ern war ja sehr stark und trotz all den Dingen, die hierzulande schieflaufen (industrielle Landwirtschaft, Verkehrspolitik, Flächenversiegelung, Kohlekraftwerke), muss man trotzdem positiv hervorheben, dass wir Deutsche zumindest ein Problembewusstsein für ökologische Missstände haben und dies in den Medien auch breit berichtet wird. Ich hoffe auf jeden Fall sehr, dass John Muir Laws’ Buch bald auch auf dem deutschen Markt erscheint, das wäre eine große Hilfe und Bereicherung!
Aber: Gerade ist ja Verena Hillgärtners großartiges Buch zum Nature Journaling erschienen (ganz große Kaufempfehlung!), das erste deutschsprachige überhaupt, hurra! Ich hoffe sehr, dass sie mit ihrem liebevoll und herzlich geschriebenem Buch einen Trend auslösen kann und wir bald vielleicht oben auf einer Stufe mit den “Urban Sketchers” stehen, das wäre doch mal was! Lasst uns mal alle kollektiv die Daumen drücken!

Nature Journaling ist ja mehr als das Führen eines Skizzenbuchs mit Naturdingen. Was reizt Dich an der Naturforscher bzw. wissenschaftlichen Seite von Nature Journaling?

Ich bereue in meinem Leben nur wenige Dinge, aber ich bedaure es schon, dass ich damals nicht Biologie studiert habe (ich habe stattdessen Soziologie studiert). Ich denke, Biologie hätte mir deutlich mehr Spaß gemacht (auch wenn Soziologie ein sehr interessantes Fach ist), aber ich bin damals leider erst im Hauptstudium auf die Idee gekommen, dass dies eine Option gewesen wäre. Ich entschied mich dann aber dazu, mein Soziologie-Studium zu Ende bringen und nicht abbrechen.
Generell liegt mir die naturwissenschaftliche Art kritisch zu denken und Sachen zu hinterfragen. Insofern schließt das Nature Journaling da bei mir auch irgendwie eine (emotionale) Lücke. Ich liebe es von einer Frage zur nächsten zu kommen, in “rabbit holes” zu hüpfen, Hypothesen aufzustellen, Sachverhalte zu durchdenken etc. (z.B. warum hat der Borretsch Haare? Mit dieser Frage habe ich viel Zeit verbracht). Im Prompt “I wonder” gehe ich voll auf. Ich benutze auch oft mein Mikroskop beim Journalen, ich bin immer voller Faszination von der uns verborgenen Welt mit all ihren Wundern, ich finde einen Wassertropfen sehr viel spannender als eine Doku über Löwen.

Aus einem Nature Journal von Katja Bozarth über Brennesseln mit Wellensittich „Billabong“ als Sidekick-Figur.

Du hast sehr gute Vorkenntnisse im Zeichen. Zeichnest Cartoons und hast in denen Journalseiten einen Wellensittich „Billabong“ als Sidekick-Figur, der die Inhalte kommentiert. Wie wichtig ist Dir das Zeichnen beim Journalen?

Puh, eine gute Frage, über die ich erstmal lange nachdenken musste! Ich glaube das Zeichnen ist mir in erster Linie als Informations-Vehikel wichtig und es entspannt mich einfach und macht mir Spaß. Zudem ist man beim Zeichnen auch wirklich bei dem Organismus oder Phänomen, den man gerade journalt, es zwingt einen langsamer zu werden und genau hinzuschauen. Da ich sonst eher ungeduldig und von der “schnellen Truppe” bin und auch schnell abgelenkt bin, ist das für mich wie eine Meditation.
Oft schreibe ich allerdings mehr als dass ich zeichne, ich bin gespannt ob sich das über die Zeit verändern wird.

Andererseits gilt beim Nature Journaling: Wir zeichnen um zu lernen. Wie siehst Du dies? Kann man dies anderen gut vermitteln?

Ich stimme dem Satz, dass wir zeichnen, um zu lernen voll zu! Es muss sich im Hirn viel abspielen, wenn wir zeichnen, es ist für mich etwas komplett anderes als Informationen nur passiv zu konsumieren. Aber wie beim Thema “Was ist Nature Journaling eigentlich” finde ich dies schwer zu vermitteln. Am besten gibt man den Leuten einfach einen Stift in die Hand und lässt es sie selbst ausprobieren. Ich denke für viele Menschen ist Zeichnen mit großen Ängsten verbunden. Deswegen schätze ich Jacks Mantra “It’s not about the pretty picture” sehr, das nimmt den Druck erheblich heraus! Man muss sich vielleicht auch einmal klarmachen, wie (andere) Naturforscher gearbeitet haben: Ich glaube z.B. nicht, dass Charles Darwin sich um seinen künstlerischen Ausdruck gesorgt hat als er seine Seepocken gezeichnet hat, er wollte einfach Informationen kommunizieren. Ich denke John Muir Laws’ Art des Nature Journaling steht ganz klar in dieser Tradition, es geht hier letztendlich um Kommunikation und nicht um Kunst. Wenn die Zeichnungen dann auch noch schön aussehen, ist das einfach ein netter Bonus, mehr nicht.

Aus einem Nature Journal von Katja Bozarth über Kohlwanzen (Eurydema oleraceum).

Du hast nun Grundschulkindern bei euch erstmals an Nature Journaling herangeführt? Wie sind Deine Erfahrungen?

Ich habe einen Workshop für einen Vormittag mit Zweitklässlern geleitet und es hat unglaublich viel Spaß gemacht! Das Schwierige ist erstmal, dass man aus seinem erwachsenen Mindset heraustreten muss, um das Ganze kindgerecht anzugehen. Wir haben z.B. zwischendurch eine Art “Natur-Bingo” draußen gespielt und wir haben Blätter durchgepaust und ein paar “blind contours” gemacht.
Zur Vermittlung der Theorie: Ich hatte ein Handout mit Billabong, meinem Wellensittich, gezeichnet und es den Kids mit einer Powerpoint-Präsentation versucht näherzubringen, um John Muir Laws drei Prompts zu erklären (ich habe sie mit “mir fällt auf…”, “ich frage mich…” und “es erinnert mich an…” übersetzt).

Die drei Prompts mit Wellensittich „Billabong“. Inspiriert von “I notice, I wonder, it reminds me of”. (Mit freundlicher Genehmigung von Katja Bozarth)

Wir hatten die Arbeitsblätter auch ausgedruckt und den Kindern hinten in ihr Skizzenbuch geklebt, damit sie es zu Hause noch einmal nachschauen können.
Die Kinder waren von der ganzen Sache Feuer und Flamme, eine Mutter hat mir sogar zwei Tage später noch ein paar Bilder zugeschickt von ihrer Tochter und einigen Klassenkameraden, die in ihrer Freizeit weitergemacht haben und Wassermelonen und Erdbeeren untersucht und gezeichnet hatten, das war für mich das schönste Feedback, das ich mir hätte wünschen können!
Ich glaube, dass Nature Journaling für Kinder sehr wertvoll sein kann, ein sicherer Ort, wo man nach Herzenslust Fragen stellen darf und nicht benotet und bewertet wird. Darüberhinaus kann das Journaling aber auch viele Meta-Kompetenzen herausbilden, wie kritisches Denken, Beobachtungsgabe, vernetztes Denken, Neugier, und natürlich ökologisches Bewusstsein. Von den erwiesenen positiven Nebeneffekten von Naturerfahrung auf das menschliche Gehirn mal ganz abgesehen!
Im Herbst unterrichte ich dann eine wöchentliche Nature Journaling AG (“Naturforscher AG”) hier an unserer Grundschule und ich studiere auch seit neustem nebenberuflich an einer Fernschule “Natur- und Umweltpädagogik”, um mir ein pädagogisches Grundwissen draufzuschaffen und etwas mehr Methodik an die Hand zu bekommen – es macht mir jetzt schon unglaublich viel Spaß!

Das klingt beides spannend, die Naturforscher AG als auch die Natur- und Umweltpädagogik-Weiterbildung.
Des Weiteren hast Du den Nature Journal Club Marburg ins Leben gerufen. Jetzt, wo es in einer Region immer nur sehr wenige gibt, die Nature Journaling kennen, wird es wohl zunächst um das Bekanntmachen und Vorstellen von Methoden gehen. Wie stellst Du dir zukünftig (in Deinen kühnsten Träumen) die Aktivitäten des Clubs vor?

Im besten Fall sind wir irgendwann vielleicht zwanzig, dreißig liebe Menschen, die sich einmal im Monat treffen und zusammen Spaß haben! Ich fände es total schön, wenn sich naturbegeisterte Menschen in Marburg auf diese Art und Weise treffen könnten, um sich auszutauschen und vielleicht auch die ein oder andere Freundschaft zu knüpfen. Und wer weiß, vielleicht kann Nature Journaling auch bei dem ein oder anderen zu einer größeren Naturverbundenheit und einem erhöhten ökologischen Bewusstsein führen. Das würde mich sehr glücklich machen.

Das klingt super. Ich wünsche Dir viel Glück mit dem Club und bedanke mich herzlich für das nette Interview.

Wenn ihr mehr über den Nature Journal Clubs Marburg erfahren wollt, schaut hier: Nature Journal Club Marburg