Ein Antiheld, in einem rasanten Abenteuer
– Ein Interview mit Detlef Surrey, dem Zeichner von „Emil“ –
Der Comic-Strip „Emil“ von Illustrator und Zeichner Detlef Surrey erschien ab 1983 für die folgenden acht Jahre im Berliner Stadtmagazin „Zitty“. Auf der Suche nach den Ursprüngen von Emil bin ich auf mehrere Bücher gestoßen, an denen Detlef Surrey in den frühen Achtziger Jahren beteiligt war. Bevor ich mit dem Berliner Zeichner ein E-Mail-Interview führte, schaute ich mir zunächst diese Bücher an und informierte mich ein wenig über die damaligen Underground-Comix-Zeichner in Westdeutschland.
Das Comicbuch „Legal, Illegal, Scheißegal! – Der illustrierte Häuserkampf“ (VSA-Verlag, Hamburg, 1981), dessen Inhalt über die linksalternative West-Berliner „Instandbesetzer“-Szene berichtete, erzählt ein Stück Zeitgeschichte: Den Kampf von Wohnungsbaumanagern, Städteplanern sowie der Polizei auf der einen Seite und Bürgerinitiativen, die zum Abbruch vorgesehene Häuser besetzten, auf den anderen Seite.
Trotz Wohnungsmangel gab es damals in West-Berlin Tausende von leerstehenden Wohnungen. Hunderte von Häusern galten als entmietet, weil die Eigentümer auf Wohnungssanierungen verzichtet hatten, mit dem Ziel so leichter einer Abbruchgenehmigung zu erhalten, um später auf dem Grundstück Luxuswohnungen zu bauen, die sich die alten Mieter nie hätten leisten können. Es kam vor allem im dichtbesiedelten Bezirk Kreuzberg zu zahlreichen Hausbesetzungen, die oft durch Räumungen seitens der Polizei beendet wurden.
Auch einige Comiczeichner waren damals aktiv dabei und illustrierten die Publikationen der Protestbewegung mit ihren Cartoons und Comics. In ihrem Comicbuch „Legal, Illegal, Scheißegal!“ fassten Peter Fuchs, Harald Juch, Peter Petri und Detlef Surrey ihre Cartoons und Comics zum Thema zusammen und erzählen darin Geschichten aus der Hausbesetzerbewegung.
In ähnlicher Besetzung – wieder mit Harald Juch, Detlef Surrey, Peter Petri, Peter Fuchs, verstärkt um Rolf Boyke und Tomas Bunk – entstand 1982 das Comicbuch „Friede, Freude, Eierkuchen“ (Semmel-Verlag, Kiel). Dieses Mal allerdings mit einem pazifistischen Grundton.
1983 erschien „IRRWITZ Comics“ (Weissmann-Verlag, München) von Gerhard Seyfried, Tomas Bunk, Wolfgang Stein (Meisterstein), Detlef Surrey und Hansi Kiefersauer – der zwischen 1979 und 1983, erst von München aus, später dann aus Berlin, das „Zomix – Deutsches Komiks“-Magazin machte. Diese Zeichner wurden zum deutschen Underground-Comix gezählt und veröffentlichten in Magazinen wie „Hinz & Kunz“, „Pardon“, „Zomix“, „Rad ab“ oder „U-Comix“.
Während Gerhard Seyfried mit Comics wie „Invasion aus dem Alltag“ (1981 beim Rotbuch Verlag, Berlin) hohe Auflagen erzielte, siedelte Tomas Bunk in die USA über und zeichnete dort für „MAD“. Auf der anderen Seite betrat in „IRRWITZ“ erstmals Emil die Comicwelt.
Frage: Die ersten Comicbücher an denen Du beteiligt warst, kamen aus der linksalternativen, pazifistischen bzw. Hausbesetzer-Bewegung. Wie kann man sich die Zusammenarbeit der Künstler vorstellen?
Detlef Surrey: Die Zusammenarbeit begann schon 1979/80. Da waren Fuchsi, Peter Petri und ich, als in der gleichen Szene zeichnend, aufeinander aufmerksam geworden. Wir beschlossen „etwas zusammen zu machen“, zogen Hansi Kiefersauer aus München und Harald Juch hinzu und konzipierten den „Kopf hoch!“ Karikaturen-Postkarten-Kalender, den wir dann gemeinsam acht Jahre lang herausgaben.
Zuerst im Selbstverlag, später im Berliner Leue Verlag. Wir Zeichner erlebten einander als Kollegen und Freunde. Mit Hansi Kiefersauer arbeite ich noch heute im gemeinsam 1998 gegründeten Atelier zusammen.
Der „Kopf hoch!“-Kalender kam also bereits vor dem ersten Comicbuch 1981. Habt ihr jeder für sich gearbeitet und dann alles zum Schluss zusammengeworfen?
Ich kann mir denken, dass bei einem Projekt mit mehreren Zeichnern viel organisiert werden muss.
Detlef Surrey: Ja, es hat aber viel Spaß gemacht. Am Anfang stand die Frage: Was wollen wir überhaupt machen? Wir wussten nur, dass wir unsere Cartoons zusammenlegen und ein gemeinsames Projekt auf die Beine stetzen wollten. Als die Idee „Kalender“ stand, mussten wir uns sachkundig machen, wie man so etwas produziert? Wo man es drucken lassen kann? Wie binden? Wer übernimmt den Vertrieb? Wie können wir es finanzieren?
Als das geklärt war, haben wir jeweils unsere Cartoons des letzten Jahres zusammengetragen. Bei den ersten Kalendern diskutierten wir inhaltlich noch jedes Bild durch: „Anti AKW – haben wir schon zwei Motive“, „Frauenbewegung – fehlt noch“. Auch stilistisch: „Da hast du aber noch bessere!”… etc. Die kleinen Bildchen und die verbindenden Texte haben wir dann zusammen gezeichnet, manchmal direkt vor Ort beim Treffen. Es traf den Nerv der Zeit. Insgesamt lag die verkaufte Auflage bei 5500 bis 8000 Stück. Das war nicht schlecht.
Du hast für Dich das Zeichnen “als Teil der politischen Arbeit“ angesehen. Wenn ich mir die Comicbücher aus dieser Zeit ansehe, überrascht mich das Politische dieser Comics, wie es heute wohl selten geworden ist. Gab es da damals Vorbilder?
Detlef Surrey: Sehr stark beeinflusst war ich von den amerikanischen Underground Zeichnern. Gilbert Shelton, Robert Crumb, Ron Cobb. Gerhard Seyfrieds anarchisch optimistischer Humor war lange für mich prägend.
In IRRWITZ-Comics hat Emil in der Geschichte „Waffen für die Heilsarmee“ seinen ersten Auftritt. Wie kam es dazu?
Detlef Surrey: IRRWITZ-Comics war ursprünglich als regelmäßiges Comicheft geplant. Gerhard Seyfried hatte die Idee und sprach einige Zeichner an, ob sie Lust hätten, mit zu machen? Natürlich hatten wir das!
Wir trafen uns, brain-stormten drauflos und hatten eine Menge Spaß. Allerdings fürchteten wir uns vor der notwendigen Kontinuität eines regelmäßigen Heftes und beschlossen daher, zuerst einmal ein Buch herauszubringen.
Wir konzipierten es so, dass jeder von uns eine Geschichte zeichnen sollte und die Hauptfiguren der Geschichten sich jeweils zwischen den Geschichten im „Café IRRWITZ“ treffen sollten, um die nächste Story einzuleiten. So erdachte ich EMIL.
Emil wirkt wie ein einfacher Angestellter, der bei Frau Krauthuber zur Miete wohnt (die ihm sogar das Frühstück ans Bett bringt), mit Wärmflasche ins Bett geht, dort “Tarzan”-Comics liest und später davon träumt selber Tarzan zu sein. Ein harmloser, gutmütiger, altersloser Typ. Eigentlich ein Antiheld, in einem rasanten Abenteuer.
Detlef Surrey: Antiheld ist schon die richtige Beschreibung. Wobei er unwillentlich ja eine Kette von Ereignissen auslöst und am Ende von den Punks und Hausbesetzern als Held gefeiert wird.
Nachdem “Irrwitz” nicht fortgesetzt wurde, erschienen die “Emil”-Strips dann in der “Zitty” [Berliner Stadtzeitschrift]. Wie hat sich dies ergeben?
Detlef Surrey: 1983 war ich für einige Wochen in Barcelona. Die dortige Comic Szene faszinierte mich. Man spürte den kulturellen Aufbruch nach der Stagnation in der Franco-Zeit. Es gab sehr interessante Zeichner (Mariscal, Pere Joan oder Max) und innovative Comic Magazine (El Víbora, Cairo, Makoki, Madriz). Sie waren auch politisch anarchisch – aber gleichzeitig grafisch sehr interessant! Das hat mich stark inspiriert. Zurück in Deutschland brach ich mit meinem Underground Zeichenstil und scribbelte die ersten Emil 4-Bild-Comic-Strips. Die „Zitty“ reagierte sehr positiv darauf – und ab Sommer 1983 war der Strip ein fester Bestandteil der Zeitschrift – bis ich die Serie 1991 einstellte.
Der Emil in der “Zitty” wirkte dann mit seinen modischen Klamotten flotter, modern, fast schon cool. Wie kam es dazu, dass Du ihm diese Veränderungen zugesprochen hast? Fast fragt man sich: ‘Was ist denn mit dem Emil passiert, kaum noch wieder zu erkennen?’
Detlef Surrey: Ich hatte auf die bestehende Figur aus dem Buch zurückgegriffen, aber erst in den Strips hat sie ihren späteren Charakter entwickelt. Ein ironisch-pfiffiger Beobachter der Szene, stets auch mit dem Wunsch „dazuzugehören“, die Trends im Auge zu haben, aber mit den Tücken und Widersprüchen kämpfend. Die Themen waren immer allgemein menschlich und politisch – die linksalternative Öko-, Friedens-und Hausbesetzerbewegung. Frauen- und Männerrollen, Solidaritätsbeweg mit Nicaragua.
Emil war dann jeden Monat in der “Zitty” vertreten?
Detlef Surrey: Die Zitty erschien immer 14-tägig. Der Strip wurde aber auch in anderen Stadtmagazinen veröffentlicht, in Stuttgart, Frankfurt, Münster, Kiel, Osnabrück, Köln… Sogar in Zürich im „Tell“. Die erschienen monatlich. 1989 – 90 erschien er zusätzlich wöchentlich in AKKU, der Jugendbeilage der WAZ in Essen.
Wird fortgesetzt.