Welche Erfahrungen machen andere mit Nature Journaling? Hier sprechen Nature Journalerinnen und Journaler darüber wie sie zum Nature Journaling gekommen sind, wie sie ihre ersten Seiten erstellten und wie sie nun Journalen oder welche Materialien sie verwenden. Hier erhältst Du Tipps aus erster Hand: Inside Nature Journaling
Lisa Theismann ist Nature Journalerin und Moderatorin beim Natur(skizzen)buch, einem Nature Journaling-Forum, welches 2020 als deutschsprachiger Ableger des Nature Journal Clubs gegründet wurde.
Wie bist Du auf Nature Journaling aufmerksam geworden?
Lisa Theismann: Nach einer langen Pause hatte ich endlich wieder mit dem Zeichnen begonnen und fand mich zunehmend von den Schönheiten der Natur inspiriert. Eines Tages stieß ich auf die Journal-Seiten von John Muir Laws und entdeckte seine Videos Nature Journal Connection. In diesem Moment eröffnete sich mir eine Tür, von deren Existenz ich zuvor nicht wusste. Es war, als ob mir buchstäblich ein Licht aufgeht – ein magischer Moment.
Hast Du dann direkt mit einem Journal angefangen?
Oh ja, ich hatte tatsächlich noch viele Skizzenbücher, die darauf warteten, mit Leben gefüllt zu werden. Als ich mich für das Nature Journaling entschied, griff ich ohne zu zögern zum Kugelschreiber und begann meine ersten Einträge. Ich wollte nicht zu sehr nachdenken oder mich selbst unter Druck setzen, also ließ ich mich von meinem Garten inspirieren und beschrieb einfach, was ich sah – eine spontane und unbeschwerte Herangehensweise.
Die Materialfrage ist immer wieder ein Thema bei Einsteigerinnen beim Nature Journaling. Da geht es darum, welches Skizzenbücher sind geeignet? Wie kann überhaupt mit Wasser-, Aquarell- oder Gouachefarben im Journal gemalt werden? Welche Tipps kannst Du da geben? Mit welchen Materialien arbeitest Du?
Die Wahl des richtigen Materials für das Nature Journaling ist in der Tat sehr individuell und kann eine Weile dauern, bis man „sein“ Set gefunden hat. Für mich persönlich hat sich mein erster Begleiter, ein Skizzenbuch und ein Kugelschreiber, bewährt, da ich mich hier auf das Wesentliche konzentrieren kann.
Ich nutze gerne die Skizzenbücher von Leda Art Supply, die ein leicht cremefarbenes Papier mit einer glatten Oberfläche von 120 g/m² und einem Format von 21 x 29,7 cm haben. Es ist nicht zu groß und nicht zu klein und liegt flach auf, was es sehr praktisch macht. Darüber hinaus ist es robust genug, um Wanderungen und Wetterverhältnisse zu überstehen, während ich darauf schreiben und malen kann, ohne dass die Tinte durchscheint.
Für das Schreiben und Malen verwende ich gerne einen einfachen schwarzen Schneider Slider Edge Kugelschreiber. Wenn ich mit einem Bleistift zeichnen würde, würde ich wahrscheinlich alles wieder wegradieren, deshalb bevorzuge ich einen Kugelschreiber.
Wenn ich ein Journal mit einer Kombination aus Wasserfarben und glatter Oberfläche zum Schreiben erstellen möchte, empfehle ich das Nostalgie Skizzenbuch von Hahnemühle. Es ist in A5, A4 und im Querformat erhältlich und obwohl es nicht speziell für Wasserfarben gemacht ist, hält es viele Schichten Wasserfarben aus und ist sehr gut zum Schreiben geeignet.
Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass man nicht unbedingt ein teures und perfektes Skizzenbuch benötigt, um mit Nature Journaling zu beginnen. Wenn ich den Wunsch habe, etwas sehr schön zu illustrieren oder zu malen, dann nutze ich dafür extra Aquarellpapier oder fertige Vorzeichnungen an. Für mich steht das Nature Journaling im Vordergrund und ist nicht unbedingt eine Kunstform, sondern eine Möglichkeit, meine Verbindung zur Natur zu stärken und meine Gedanken und Eindrücke festzuhalten.
Mittlerweile gibt es zahlreiche Foren im Netz bei denen der Austausch möglich ist. Du bist selber Moderatorin beim Naturskizzenbuch. Wie wichtig ist Dir der Austausch mit anderen? Was denkst Du über gemeinsame Exkursionen, so in der Art wie der Bay Area Nature Journal Club startete?
Es bereitet mir eine große Freude, mich mit anderen Gleichgesinnten über das Nature Journaling auszutauschen. Ich sehe es als eine Möglichkeit, von anderen zu lernen und auch meine eigenen Erfahrungen und Erkenntnisse zu teilen. Als Moderatorin bei Naturskizzenbuch habe ich die Gelegenheit, in Kontakt mit vielen Journalern zu treten und ihre Arbeiten zu bewundern. Dieses Gemeinschaftsgefühl gibt mir ein großes Glücksgefühl.
Ich halte gemeinsame Exkursionen für eine wunderbare Idee, um das Nature Journaling noch intensiver erleben zu können. Es wäre sehr interessant, gemeinsam mit anderen Journalern die Natur zu erkunden und dabei Beobachtungen und Erfahrungen zu teilen. Ich würde mich sehr freuen, einmal an solchen Ausflügen teilnehmen zu können. Mit der zunehmenden Popularität des Nature Journalings bin ich zuversichtlich, dass es in naher Zukunft solche regionalen Treffen geben wird.
Anfänger haben oft das Problem dran zu bleiben. Zuerst wird jeden Tag gezeichnet. Dann unregelmäßig, das Buch wird vielleicht gewechselt. Auch sieht man, dass andere viel schönere „Kunstwerke“ schaffen usw. Welche Tipps hast Du zum dran bleiben?
Mein „Geheimnis“ ist, dass ich daraus „kein großes Ding“ mache. Ich Journale ganz Alltägliches – die Pflanzen, die wild in meinem Vorgarten wachsen, die Vögel, die zu unserer Futterstelle kommen und auch neuerdings bei uns Nisten, die Insekten, die im liegengelassenen Laub hausen und wie sich die Landschaft in den Jahreszeiten verändert, in der ich fast täglich Spazieren gehe. Da hat man schon allerhand zu tun, denn wenn man erst mal hinsieht, erkennt man, welch riesige Welt einem bisher verborgen blieb.
Dazu muss ich sagen, dass ich mich früher auch sehr habe einschüchtern lassen von anderen, die „immer perfekt“ malen. Ich denke mir, dass ich heute für andere auch so eine Person bin und muss etwas lachen. Es ist ganz normal, dass man immer mal wieder das Gefühl hat „never good enough“ zu sein. Dank des Internets vergleicht man sich aber auch oft mit Menschen, die das schon jahrelang machen und vielleicht sogar darin ausgebildet sind. Ist das nicht paradox?
Niemand erwartet von einem, sich an das Klavier zu setzen und perfekt los spielen zu können. Jeder weiß, dass es dazu viel Übung bedarf. Komischerweise wird beim Zeichnen oft erwartet, es zu können oder eben nicht. Doch auch Zeichnen ist eine Fähigkeit, die immer wieder geübt und trainiert werden muss. Man muss geduldig mit sich sein und sich erlauben dürfen, Fehler zu machen. Denn nur daraus kann man lernen! Und bald schon kann man sehen, auch anhand eines Nature Journals, wie sich die eigenen Fähigkeiten verbessern.
Wie sieht Nature Journaling bei Dir in der Praxis aus. Kannst Du uns ein Beispiel schildern, von der Beobachtung bis zur Aufzeichnung im Journal?
Gerne! Da fällt mir direkt meine Seite über die Entenbalz ein. Ich gehe fast jeden Tag in einem Park spazieren, in dem viele Wasservögel leben. Ich beobachte also unsere Stockenten, wie sie zwischen Nilgänsen und Kanadagänsen leben. Ich habe dann zuhause angefangen zu recherchieren, ob es irgendwelche Aufzeichnungen zu ihrem Verhalten gibt und bin über die Aufzeichnungen von Konrad Lorenz über das Balzverhalten der Stockenten gestoßen. Ich studierte also den Film, las das Dokument dazu und machte mir Notizen in meinem Nature Journal. Ich nahm mir vor, den nächsten Winter dieses Verhalten zu beobachten.
Das tat ich einige Monate später auch. Ich nahm mein Journal und setzte mich in den Park und beobachtete sie, verglich das Verhalten mit meinen Notizen und filmte sie. Es war so spannend dieses Verhalten „in echt“ zu beobachten und ich ergänzte meine Aufzeichnungen.
Ich konnte das nun alles richtig interpretieren und sehe auch, wie die Dokumentation von Konrad „Gänsevater“ Lorenz mir heute noch so viel beibringen kann. Ich wette, er hatte auch ein Notizbuch, in dem er seine Beobachtungen aufzeichnete!
Das glaube ich auch. Schade, dass wir es nicht einsehen können. Woher holst Du Dir denn sonst noch Anregungen?
Ich habe mir „The Laws Guide to Nature Drawing and Journaling“ von John Muir Laws und „Keeping a Nature Journal“ von Clare Walker Leslie schenken lassen. Diese Bücher sind meine erste Adresse, wenn ich Inspiration brauche! Aber natürlich auch der Austausch in unseren Nature Journaling Gruppen und dem YouTube Kanal von John Muir Laws macht immer richtig Lust, das Journal auszupacken und los zu legen!
Nature Journaling ist ja mehr als das Führen eines Skizzenbuchs mit Naturdingen. Was reizt Dich an der Naturforscher bzw. wissenschaftlichen Seite von Nature Journaling?
Ich finde es unheimlich erfüllend, Informationen zu sammeln, mit anderen zu Teilen und zu wissen, dass diese sinnvoll eingesetzt werden können. Außerdem finde ich es auch eine sehr ursprüngliche und persönliche Methode, die auf reine Neugier basiert, denn so haben ja schon vor vielen hundert Jahren die ersten Naturforscher ihre Beobachtungen festgehalten.
Yvea Moore vom Nature Journal Club und John Muir Laws sprechen auch mal „Naturschutz“, „Citizen Science“ bzw. „Verantwortung“ im Zusammenhang mit Nature Journaling an. Siehst Du da Möglichkeiten bei denen Nature Journaling ein Werkzeug für den Natur-, Klima- oder Artenschutz sein kann?
Unbedingt. Erstens: was ich kenne, lerne ich zu lieben. Man baut eine echte Beziehung zur Natur auf. Zweitens: wenn ich Abläufe in der Natur verstehe, kann ich auch begreifen, was ich oder ich durch mein Handeln evtl. zerstöre. Drittens: Das Wissen und die Liebe gebe ich weiter, welches die wichtigste Konsequenz daraus ist.
Unsere Gesellschaft ist völlig entfremdet mit der Natur und man sieht sich nicht mehr als Teil von ihr, bzw. dass wir doch alle abhängig von ihr sind. Würden wir alle wieder verstehen, weshalb z. B. Wälder und Insekten so wichtig sind, würden wir sie nicht unentwegt abholzen und mit Gift besprühen. Wenn wir uns wieder mehr mit ihr, der Natur, beschäftigen und auch darüber sprechen, können wir auch andere Inspirieren und vielleicht wieder die Neugier wecken, die uns Menschen doch alle vereint.
In Deutschland ist Nature Journaling noch recht unbekannt. Es gibt viele die über große Naturbeobachtungsplattformen ihre Bilder teilen usw., aber Nature Journaler sind selten. Wie siehst Du das, ist das okay für Dich oder …?
Jeder Mensch, der sich mit der Natur beschäftigt, ist ein Gewinn! Alle Naturfotografen oder „Listen-abhaker“ sind wichtig, denn letztlich teilen wir doch alle die Liebe zum Beobachten und Lernen.
In Deutschland beschränken sich viele darauf, ihre Beobachtungen in Fotos und Beobachtungsplattformen festzuhalten. Das ist auch sehr sinnvoll, reicht mir persönlich aber nicht. Ich denke, es gibt so viel mehr über eine Beobachtung festzuhalten als „nur“ das Bild des Beobachteten. Vielleicht geht für den ein oder anderen auch eine Tür auf, wenn er vom Nature Journaling erfährt!
Dies könnte ich mir auch vorstellen. Ich wäre dann mit meinen Fragen durch.
Lisa, vielen Dank für das Interview und den Blick in Dein Nature Journal.