Beim aktuellen Artensterben, dem sechsten Sterben der Arten in der Erdgeschichte, dachte ich in erster Linie an das Insektensterben. Das die Zahl der Insekten dramatisch in den letzten Jahrzehnten gesunken ist, kann man sich schnell vor Augen führen, wenn man sich an lange Autobahnreisen vor 20 oder 30 Jahren erinnert: Die Frontscheibe war zumindest im Sommer stets voll mit verunglückten Insekten. Heute bleibt die Windschutzscheibe fast ganz sauber. Dieses Beispiel ist jedem sofort bewusst und kann es bestätigen.
Der Klimawandel als Problem ist mittlerweile in weiten Teilen der westlichen Bevölkerung angekommen und zum Teil auch als ein Solches erkannt und akzeptiert. Das das Artensterben ein Problem sein könnte hinkt in der Öffentlichkeit noch hinterher. Die Massenartensterben in der Vergangenheit und das derzeitige stehen im Mittelpunkt des Buchs „Das 6. Sterben“ (im Original als „The Sixth Extinction: An Unnatural History„, 2014) von Elizabeth Kolbert.
Direkt vorweg gesagt: Obwohl mir bewusst war, dass der Mensch schon öfters dafür gesorgt hat, dass bestimmte Arten ausgestorben sind (oder in bestimmten Regionen fast ausgerottet, siehe Wolf [Canis lupus)] in verschiedenen westeuropäischen Ländern), war ich doch erschrocken, dass Kolbert im Buch beschreibt, wie der Mensch nach seinem Auftauchen in einer Region oder auf einem neuen Kontinent, den er besiedelt, über kurz oder lang bestimmte Tierarten bis zur Ausrottung jagd. Genannt wird die Ausrottung der flugunfähigen Moas (Dinornithiformes), Laufvögel auf Neuseeland durch die polynesische Einwanderer ab dem Ende des 13. Jahrhunderts — bereits 100 Jahre später waren die Moas ausgestorben.
Elizabeth Kolbert schreibt, dass die über Generationen erfolgte Ausrottung einer Art den Menschen gar nicht bewusst war, weil man nicht wußte, dass früher der Bestand der Population noch größer war. So kam es vielleicht über 1000 Jahre der Bejagung dieser einen Art — auch wenn nur der notwendige Bedarf für die eigene Ernährung erlegt wurde — irgendwann zum Aussterben.
Mir fällt dabei auch die Bisonjagd in Nordamerika ein, bei der der Bestand von ca. 25 Millionen auf unter 1000 Tiere am Ende des 19. Jahrhunderts dezimiert wurde. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert wurde aus dem Bison, den die amerikanischen Ureinwohner zuvor für ihren Bedarf gejagt hatten zu einem Exportschlager, verkauft wurden die Häute der Bison überwiegend ins Ausland. Bekannt sind auch die Fotos aus den 1870er Jahren mit Hügeln aus Bison-Schädeln.
Aber nun konkret zum Buch. Elizabeth Kolbert hat viel recherchiert und bei zahlreichen Themen einige Orten besucht und sich dort mit Wissenschaflern getroffen, sodass sich das Buch in weiten Teilen wie eine Reportage liest. Eines der Recherchethemen war, wie es dazu kam, dass man verstand das Arten aussterben können. Carl von Linné, der die binäre Nomenklatur einführte, nach der wir bis heute den Arten Namen geben, sah einen Unterscheidung zwischen lebenden und ausgestorbenen Arten als nicht notwendig. Er listete 1758 nur lebende Arten auf. Die ausgestorbenen Arten sammelte man damals aber durchaus schon in Kuriositätenkabinetten. Aber erst Jean-Léopold-Nicholas Frédéric Cuvier (Achtung er hat einen Bruder: Frédéric Cuvier, der ebenfalls Zoologe war) beschäftigte sich damit, dass eine Art aussterben konnte. Es hatte also eine Welt vor der unseren gegeben. Eine Welt deren Arten nun nicht mehr existierten. Cuvier glaubte zwar daran, dass Arten aussterben konnten, aber den Transformismus, also die Evolutionstheorie lehnte er ab. Jean-Baptiste Lamarck hingegen glaubte an die Veränderbarkeit der Arten, lehnte aber Cuviers Aussterbentheorie ab. Fossilienfunde, wie die der Sammlerin Mary Anning, ließen also richtig intepretiert erkennen, dass es zuvor andere Arten auf der Erde gegeben hatte.
Es folgen die Thesen des Geologen Charles Lyell, nachdem sich ein Artensterben so langsam fortschritt, dass es in der Zeit an einem bestimmten Ort unbemerkt blieb. Lyell vertrat die Auffassung, dass verschwundene Lebewesen unter geeigneten Bedingungen wieder auftauchen würden. Das ein Lebewesen sich aber weiterentwickeln und sich neue Arten entwickeln könnten war für ihn unverstellbar. Das dies aber die Normalität ist, begann mit Charles Darwins berührten Fahrt auf dem Schiff Beagle. Tiere, ja auch Menschen, hatten sich in einem langen Transformationsprozess entwickelt, der über viele Generationen stattgefunden hatte. Für Darwin gehörten Evolution und Aussterben zusammen. Das Entstehen einer neuen Art vollzieht sich sehr langsam und ist im Gegensatz dem Aussterben einer Art nicht beobachtbar.
Elizabeth Kolbert arbeit sich so durch die Entdeckungen der verschiedenen Wissenschaftler und kommt so in die Gegenwart, dem Anthropozän.
Den Begriff Anthropozän stammt vom niederländischen Meteologen Paul Crutzen, weil er fand, dass wir auf der Erde nicht mehr im Zeitalter des Holozän leben, sondern ein Zeitalter erreicht haben, in der der Mensch bleibende erdgeschichtliche Spuren hinterlassen hat. Dies betrifft die vom Menschen umgestaltete Landfläche, die umgeleiteten und eingedämmten Flüsse, den Süßwasserverbrauch oder die Veränderung der Atmosphäre beispielsweise durch das Verbrennen fossiler Brennstoffe und die Abholzung der Wälder, die den Gehalt an Kohlendioxid (CO2) in der Luft hat ansteigen lassen. Die Zunahme von CO2 in der Atmosphäre kann zu einem globalen Temperaturansieg von zwei bis vier Grad führen. Dieser Klimawandel hat natürlich Einfluss auf die Arten und ihre Lebensräume.
Elizabeth Kolbert ist eine US-amerikanische Journalistin und Autorin. Für „The Sixth Extinction: An Unnatural History“ erhielt Elizabeth Kolbert 2015 den Pulitzer-Preis in der Kategorie General Non-Fiction (Sachbuch) und das Buch wurde im selben Jahr als Wissensbuch des Jahres ausgezeichnet.