Welche Erfahrungen machen andere mit Nature Journaling? Hier sprechen Nature Journalerinnen und Journaler darüber wie sie zum Nature Journaling gekommen sind, wie sie ihre ersten Seiten erstellten und wie sie nun Journalen oder welche Materialien sie verwenden. Hier erhältst Du Tipps aus erster Hand: Inside Nature Journaling
Hans-Christian Sanladerer ist Grafikdesigner, Cartoonist, Illustrator, Sketcher – mal „Nature“, mal „Urban und nun auch Buchautor („Floral Sketching“, „Nature Sketching – Step by Step“).
Christian, Du bist viel als Zeichenlehrer im Sketching-Bereich unterwegs, hast ein Buch über „Floral Sketching“ veröffentlicht, wie hat sich das nun bei dir mit dem Nature Sketching und dem Buch beim Christian Verlag ergeben?
Hans-Christian Sanladerer: Der Begriff „Zeichenlehrer“ ist mir zu schulisch, ich bezeichne mich selbst als Dozent und Workshop-Leiter. Ich hatte in meinem beruflichen Leben schon viele verschiedene Aufgabenbereiche. Damit verbunden ist eine großer Erfahrungsschatz in sämtlichen Drucktechniken. Meine Weiterbildung zum Onlineredakteur zog – als logische Konsequenz – den Aufbau meiner eigenen Social Media-Auftritte nach sich. Dabei konzentrierte ich mich besonders auf Instagram. So kam es, dass mich der Christophorus-Verlag bzw. die Lektorinnen von kunstschoen.de dort entdeckten und kontaktierten. Aus dieser Zusammenarbeit entstand als erstes Buch „Floral Sketching“ und als zweites Thema „Nature Sketching“. Der immense Aufwand der Pflege meines Instagram-Accounts schien sich also zu lohnen.
In deinem Buch „Nature Sketching“ schreibst du, Nature Sketching sei das Pendant zum Urban Sketching. Ich sehe auch eine Nähe zum Landscape Sketching/Painting. Wo ziehst du die Grenzen zwischen den Begrifflichkeiten?
Nature und Landscape Sketching sind ja nur zwei Begriffe für ein und dasselbe. Painting ist die eher klassische Variante der Plein Air Malerei, des Malens vor Ort im Freien. Genau das machen wir beim Nature Sketching auch, aber eben mit den Mitteln der schnellen Skizze. Anstelle einer Staffelei und eines sperrigen Malgrunds, verwenden wir ein handliches Skizzenbuch, Stifte, Pinsel und einen kleinen Reise-Aquarellkasten. Die Übergänge sind natürlich fließend, denn man kann ja auch einen Aquarellblock verwenden. Entscheidend ist für mich, dass es beim Nature Sketching um lockeres, schnelles Festhalten der Szenerie und nicht um deren perfektionistische, naturalistische Darstellung geht
Insbesondere in den USA ist das Nature Journaling zu einer Bewegung geworden. Nature Sketching ist da einer von mehreren Inhalten (Naturbeobachten, das gesehene festhalten, dokumentieren in Wort und Bild etc., Fragen stellen, sind weitere mögliche Inhalte). Glaubst du, dass eine Skizze beim Naturverständnis helfen kann?
Wir haben uns als in der sogenannten zivilisierten Gesellschaft im Lauf der Zeit immer mehr von der Natur entfernt. Jetzt erkennen wir plötzlich dass sie nicht nur bedroht, sondern im Zweifel auch unersetzbar ist. Skizzieren setzt ja das genaue Beobachten und Hinschauen voraus. Die Beschäftigung mit der Natur und vor allem IN der Natur schärft den Blick für Landschaften und deren Details. Es stellt zwangsläufig wieder eine Nähe zur Natur her, die gerade Stadtmenschen abhanden gekommen ist.
Viele Leute sagen: Ich kann nicht zeichnen. Beim Nature Journaling ist Zeichnen nur ein Teil, aber dennoch ein wichtiger Teil. Was empfiehlst du jemanden, der auch ohne großartige Zeichenausbildung direkt (also: jetzt heute, nicht erst nach einem Kurs) starten möchte?
Ganz oft habe ich es mit Workshop-TeilnehmerInnen zu tun, die von den eigenen Eltern oder von den ZeichenlehrerInnen gehört haben: „Leg den Stift weg, Du kannst nicht zeichnen, Du bist völlig untalentiert“. Ein „pädagogischer“ Wahnsinn! Das macht mich nicht nur traurig, sondern auch wütend. Vor allem aber weckt es in mir die Lust, diesen Menschen zu beweisen, dass das nicht stimmt. Talent wird ohnehin total überbewertet. Das Einzige, was einen wirklich weiter bringt, ist das ständige Tun. Ich rate diesen Menschen, die den Glauben „Du kannst das nicht!“ leider oft verinnerlicht haben, tatsächlich erstmal zu einem Kurs bei einem Dozenten / einer Dozentin, der, die nicht beurteilt bzw. verurteilt, sondern das Positive sieht, das es bei jedem Menschen zu entdecken gibt und darauf aufbauend inspiriert und motiviert. Natürlich kann man auch selbstständig loslegen, indem man sich entsprechende Bücher besorgt oder anhand von Webinaren lernt. Aber wer den Glauben an das eigene „Nicht-Können“ manifestiert hat, dem wird dies ohne Anleitung schwer fallen. Außerdem wird jede AnfängerIn von der Fülle an Büchern und Online-Tutorials regelrecht erschlagen. Ein entsprechender Kurs ist aus meiner Sicht eine gute Basis, um darauf aufzubauen.
Für mich ist es immer eine unglaubliche Befriedigung, angeblich „untalentierten“ Menschen den Glauben daran, dass sie zeichnen und malen (lernen) können, zu vermitteln. „Kein Talent“ ist jedenfalls keine Entschuldigung dafür, nicht zeichnen (lernen) zu können.
Denke ich an Landschaftsmaler, dann sehe ich, wie sie ihre Staffelei an einen hübschen Ort schleppen und dort Stunde um Stunde an ihrem Motiv arbeiten. Ich will aber „leichter“ unterwegs sein, vielleicht mit einem kleinen Rucksack, und dennoch möchte ich nette Skizzen machen können. Was sind deine Empfehlungen fürs Reisen in die Natur? Und mit welchem Material?
Egal, wo und was Du draußen zeichnest, skizzierst, malst: mit einem Aquarell- Skizzenbuch in A4 oder – etwas handlicher – in A5 bist Du bestens gerüstet. Zum Zeichnen verwende ich wasserfeste Fineliner (Pitt Artist Pen von Faber-Castell). Koloriert wird die Skizze dann mit einem Reise-Aquarellkasten mit überschaubaren acht Farben, mit denen ich alle Farben mischen kann. Papiertücher, Wasserbehälter (praktische Klappbecher aus Kunststoff), Wasserflasche zum Nachfüllen, eventuell noch ein Klapphocker, wenn man mal länger sitzen möchte.
Das ist meine Standard-Ausrüstung für das Skizzieren unterwegs. Oftmals verzichte ich auf den Klapphocker, weil es sonst zu gemütlich wird und man wieder dazu neigt zu detailgetreu zu skizzieren, anstatt schnell und locker.
Drucker (die Personen) mischen einem jeden beliebigen Farbton aus CMYK. Ist es eine gute Idee nur diese vier Farben mit in die Natur mitzunehmen (wäre ja eine sparsame Palette)?
Du hast es bereits gesagt, dies sind die idealen Farben für den Vierfarbdruck: Cyan (blau), Magenta (Rot), Yellow (Gelb), Black (schwarz). Hier ergeben sich ja alle Farbmischungen durch den Zusammendruck aufgerasterter Farbanteile. Das bedeutet, die Farben werden nicht wirklich ineinander gemischt. Der Farbeindruck entsteht durch die optische Mischung der einzelnen Rasterpunkte. Beim Malen mischen wir aber tatsächlich die Pigmente ineinander. Das ist eine vollkommen andere, weniger subtile Vorgehensweise.
Außerdem ist bei CMYK ja Schwarz enthalten. In der malerischen Realität kommt Schwarz aber gar nicht vor. Nichts von dem, was wir sehen, ist bei genauer Betrachtung wirklich Schwarz. Schwarz ist die Folge absoluter Abwesenheit von Licht, existiert also nur im Stockdunklen. Deshalb sieht Schwarz in der farbigen Skizze auch immer fremd aus. Ich verzichte komplett auf jegliches Schwarz in meiner Farbpalette und ersetze es durch eine Simulation von Schwarz aus Indigo (tiefes Blau) und Sepia (Dunkelbraun). Dieses „farbige Schwarz“ wird so optisch viel besser in das Gesamtbild miteingebunden und wirkt nicht wie ein Fremdkörper. Schatten sind in einer farbigen Darstellung übrigens auch niemals Schwarz oder Grau, sondern stark blaulastig. Mein Tipp: Um beim Mischen auf der sicheren Seite zu sein, verwende ich Rot, Gelb, Blau, jeweils in einer kalten und einer warmen Version, sowie Indigo plus Sepia, für die dunklen Stellen bzw. die Schattenpartien eines Bildes. Die genauen Farbbezeichnungen findest Du in meinem Buch.
Bäume zählen für mich mit den Ästen zu den aufwendigen Strukturen. Schnell verliere ich mich im Geäst („welches Ästchen hatte ich zuletzt“). Ich kann mir da bei Zeichenschülern auch verzweifelte Momente vorstellen („das schafft doch keiner“). Ich neige dann dazu, einfach aus dem Gedächtnis zu zeichnen. Welche Empfehlungen hast du, bei solchen komplizierten Strukturen nicht den Überblick zu verlieren?
Da sprichst Du eines meiner Lieblingsthemen an. Ich liebe Bäume und deshalb natürlich auch das Skizzieren derselben. Was von vielen oft vergessen wird: Bäume sind Individuen, genau wie Menschen. Kein Baum gleicht dem anderen. Deshalb ist das genaue Hinschauen auch so wichtig. Nach der berühmten 80/20-Regel schauen wir 80% der Zeit auf unser Motiv und nur 20% auf’s Blatt. Meist machen wir es genau umgekehrt. Nach dem Motto „ah, ein Baum! Kenne ich …“ und dann wird sehr schnell aus dem Kopf das gezeichnet, was wir als stereotypen Baum abgespeichert haben. Wir wundern uns dann, warum diese „Zuckerwatte am Stiel“ so wenig mit dem tatsächlichen Baum vor uns zu tun hat. Deshalb: Genau hinschauen, hinschauen und immer wieder hinschauen. Einen Baum zu zeichnen, ist gar nicht so schwer, wenn wir seinem natürlichen Wachstum folgen. Zuerst den Stamm, dann die dicken Äste, die dünneren Zweige, die feinen Verästelungen. Laub wird stellenweise angedeutet, größtenteils jedoch auf zusammengefasste Formen reduziert. Niemandem macht es Spaß jedes einzelne Blatt zu zeichnen und niemand hat Spaß daran ein derart detailreiches Bild zu betrachten. Wenn schon alles bildlich erzählt wird, bleibt kein Freiraum mehr für die Fantasie des Betrachters. Also genau hinschauen, aber dann auf das Wesentliche reduzieren. Ganz wichtig ist hier auch das Modellieren: Woher kommt das Licht, wo sitzen die Schatten. Hier hilft es, die Augen zusammenzukneifen und auf unscharf zu stellen. Das blendet unwichtige Details aus und hilft beim reduzierten Erfassen der Formen und bei der Wiedergabe der Hell-Dunkel-Kontraste, um eine dreidimensionale Wirkung entstehen zu lassen.
Wie vertreibst du die Verzweiflung beim Zeichenschüler und bringst ihm oder ihr bei, den Spaß beim Skizzieren zu spüren?
Das, was man (vor)lebt, strahlt man ja auch aus. Skizzieren macht in erster Linie eines: Spaß! Deshalb habe ich noch keinen wirklich verzweifelten Zeichenschüler erlebt. Viele nehmen sich den Spaß am eigenen Tun aber durch völlig überzogene Erwartungshaltungen an das eigene Können. Anstatt wahrzunehmen, was sie schon können, sehen manche nur, was sie noch nicht können. Dabei wird aber gerne vergessen, dass man in einem 5-tägigen Workshop nicht aufholen kann, was andere schon seit Jahren täglich trainieren. Ich betone immer gleich zu Beginn, wie wichtig der Spaßfaktor ist. Oft halte ich ein Schild hoch, auf dem steht: „Perfektionismus – Du musst leider draußen bleiben!“. Ich war ja früher selbst 150iger Perfektionist, einer der schlimmsten Sorte, und weiß aus eigener Erfahrung, wie sehr man sich damit im Weg stehen kann. Ich habe aber gelernt, mich davon zu verabschieden und beim Skizzieren und insbesondere beim Aquarellieren auch einfach mal loszulassen und sich darüber zu freuen, wenn etwas entsteht, was so gar nicht geplant war. Diese Entwicklung lege ich den TeilnehmerInnen nahe und mache entsprechende Lockerungs-Übungen mit Ihnen. Es ist immer wieder spannend, welche Ergebnisse dabei entstehen. „Ah“ & „Oh“-Erkenntnisse inklusive. Ich sage auch immer wieder, „Aquarell ist das was geschieht, während Du etwas anderes planst.“ Genau wie das Leben.
In deinem Buch zeigst du einige Step-by-step Skizzen. Die halbfertigen Skizzen haben auch ihren Reiz. Sie schauen so aus, als sollte speziell auf den kolorierten Bereich hingewiesen werden. Setzt du so etwas auch schon mal bewusst ein, z.B. durch Weglassen von Objekten oder Farbe?
Beim Skizzieren geht es grundsätzlich darum, nicht das ganze Bild wiederzugeben, sondern nur das, was mir wichtig erscheint. Ich setze einen Fokus im Bild. Außerdem lasse ich sehr viel Weiß im Motiv stehen. Übertrieben gesagt: Ich zeichne oder male eigentlich nur die Schattenpartien, den Rest lasse ich weg. Dadurch entsteht eine gewisse Leichtigkeit im Bild. Das stehen gelassene Papierweiß steht für Helligkeit und Transparenz. Wenn ich weiß, dass ich eine Zeichnung kolorieren will, deute ich zeichnerische Strukturen nur leicht an. Ich beschränke mich auf die Kontur, denn die Farbe soll die Geschichte erzählen.
Das Lustige ist, dass ich bei diesen Schritt-für-Schritt-Bildern in den Büchern anschließend oft denke: „Ah, der vorletzte Schritt hätte auch schon gereicht. Mehr hätte es gar nicht gebraucht.“ Hier geht es dann wieder um das rechtzeitige Aufhören. Auch ein Thema, das im Buch behandelt wird.
Nature Sketching ist hierzulange ja noch jung. Wie siehst du die Entwicklung?
„Nature Sketching“ ist genau betrachtet vermutlich älter als das „Urban Sketching“. Denn Künstler haben schon früh die eigene Umgebung anhand von Skizzen erfasst. Lange bevor es Städte gab, wie wir sie heute kennen. Kunstgeschichtlich waren Skizzen jedoch meist Vorskizzen, also Mittel zum Zweck der darauf aufbauenden „großen Kunst“. Heute hat die Skizze ihren eigenen Wert und gilt als selbstständige Kunstform. Ich sehe keine strikte Trennung zwischen dem modernen Urban und dem Nature Sketching, denn es kommt ja darauf an, wo man als Zeichner lebt. Ich als Naturmensch lebe mitten auf dem Land. Um Urban Sketching zu betreiben, muss ich in die nächste Stadt reisen oder den passenden Workshop anbieten. Die Natur jedoch liegt quasi vor der eigenen Haustür. Nature Sketching ist also keine „Konkurrenz“ zum Urban Sketching, sondern darf sich parallel dazu entwickeln. Der Klimawandel bedroht jedoch die ländliche Idylle. Bäume, die ich noch vor kurzem hier im Bergischen Land skizziert habe, stehen heute nicht mehr. „Man sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht“ muss also umdefiniert werden, in „man sieht den Wald mangels der Bäume nicht mehr“. Früher dichte Wälder wurden in nackte Hügel umgewandelt. Uns wird deutlich vor Augen geführt, wie wichtig unsere Natur ist und wie vergänglich. Damit kommt die Natur verstärkt in den Fokus. Vielleicht auch künstlerisch? Ich würde es mir wünschen. Online-Workshops zum Thema biete ich bereits an und wo immer es bei meinen On-Location-Workshops und bei meinen Mal- und Zeichenreisen möglich ist, binde ich das Thema Nature Sketching mit ein.
Vielen Dank für das interessante Interview, Christian. Zum Schluss möchte ich noch auf die auf verschiedene Seiten von Hans-Christian Sanladerer hinweisen.
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