
Welche Erfahrungen machen andere mit Nature Journaling? Hier sprechen Nature Journalerinnen und Journaler darüber wie sie zum Nature Journaling gekommen sind, wie sie ihre ersten Seiten erstellten und wie sie nun Journalen oder welche Materialien sie verwenden. Hier erhältst Du Tipps aus erster Hand: Inside Nature Journaling.

Sibylle Kamphuis ist Grafik-Designerin, Nature Journalerin und Dozentin für Nature Journaling in Köln.
Sibylle, Du hast Visuelle Kommunikation studiert und bist seitdem als Grafik-Designerin tätig. Ich nehme mal an, dass Du heute vorwiegend digital arbeitest, aber vor und während Deines Studiums viel gescribbelt, skizzierst und gezeichnet hast. Hast Du das über die Jahre beibehalten, denn seit ich Deine ersten Journalseiten in einem Onlineforum gesehen habe, sind Deine Tier- und Pflanzenzeichnungen hervorragend?
Sibylle Kamphuis: Danke. Ich habe das Zeichnen quasi in die Wiege gelegt bekommen: meine Mutter war Illustratorin und eine gute, strenge Lehrerin. Direkt nach dem Studium habe ich noch regelmäßig Skizzenbücher für meine Arbeit geführt. Das habe ich vor rund 20 Jahren aufgegeben. Die digitale Arbeit war zur Routine geworden, die Ideen sind direkt in den Rechner geflossen. Privat habe ich aber weiterhin sporadisch gezeichnet, gemalt und gescribbelt.
Welche Bedeutung hatte für Dich Natur vor Nature Journaling?
Natur war für mich schon als Kind eine Quelle der Erholung, der Wunder, des Staunens. Ein Ort zum einfach Sein. Losgelöst von Ansprüchen und sozialen Verwirrungen. Und sie ist immer noch meine tägliche Begleiterin. Durch meinen Hund bin ich seit 12 Jahren zwei- bis dreimal täglich in der Natur unterwegs. Es gibt immer noch jeden Tag Neues zu entdecken – das ist unglaublich.

Wie bist Du auf Nature Journaling aufmerksam geworden? Und wie hast Du mit dem Journaling angefangen?
Eine Freundin, Bianca, meinte, dass das etwas für mich sein könnte. Wir kennen uns aus dem „Poller Fototreff“ und haben zusammen Vögel beobachtet am Rhein. Sie hat mir die Videos von John Muir Laws empfohlen. Die habe ich mir dann angeschaut. So hat es angefangen. Die erste Seite füllte eine Kiefernblüte aus unserem Vorgarten.
Wie sieht Nature Journaling bei dir in der Praxis aus? Kannst Du uns ein Beispiel schildern, von der Beobachtung bis zur Aufzeichnung im Journal?
Ein schönes Beispiel ist die Sumpf-Schwertlilie, die ich dieses Jahr im Mai am Rhein entdeckt habe. Die strahlend gelbe Blüte hat mich fasziniert. Abschneiden wollte ich sie nicht, weil es nur eine einzige Pflanze gab. Vor Ort habe ich im Stehen und auf einem Stein sitzend mit Fineliner die Blüte aus mehreren Perspektiven gezeichnet und dabei Fotos gemacht. Farbe (Buntstift oder Aquarell) kommt bei mir immer erst zu Hause ins Bild.

Im Laufe des Jahres bin ich öfter vorbeigegangen, um Antworten auf meine Fragen zu finden und weitere Entwicklungsstadien der Blüte zu zeichnen. Dabei habe ich den Schwertlilienrüssler, einen Käfer, entdeckt. Drei Monate musste ich warten, bis die Schoten reif waren und das Geheimnis der Samen preisgaben. Eine Schote habe ich mir dann doch erlaubt mit nach Hause zu nehmen und dort zu untersuchen. Zeit, Cutter und Lupe sind wichtige Werkzeuge.

In unserem Alltag gibt es viele Regeln zu beachten. Nature Journaling hingegen sehe ich als sehr frei. Jede Person kann direkt starten, ohne Künstler:in oder Naturwissenschafler:in zu sein. Oder gibt es geheime Regeln? Wie, siehst Du das beispielsweise mit Zeichnen/Journalen vor Ort oder nach Fotos?
Ich sehe das so wie Du. Alles hat seine Berechtigung. Mein Ansatz ist oft ein forschender – egal ob vor Ort oder an meinem Schreibtisch. Ich versuche, so lange wie möglich nichts nachzuschlagen, sondern über Fragen, Beobachten, Wenden, Drehen, Öffnen das Stück Natur selbst zu durchdringen. Eigene Fotos als Vorlage nehme ich ergänzend dazu. Gerade bei sich bewegenden Motiven (Tiere). Manchmal möchte ich aber auch nur eine Farbe, eine Stimmung, eine Struktur festhalten oder eine kleine Geschichte erzählen.
Nature Journaling ist mehr als das Führen eines Skizzenbuchs mit Naturdingen. Was reizt Dich an der Naturforschungs-, wissenschaftlichen Seite von Nature Journaling?
Durch das wissenschaftliche Durchdringen gelange ich auf eine spirituelle Ebene. Das klingt paradox, aber erst durch die genaue Erforschung wird mir das Wunder der Natur so richtig bewusst. Ich sage immer: „Wer sich das ausgedacht hat, muss doch Drogen genommen haben.“ Es lehrt mich, das Werden und Vergehen wahrzunehmen und als Prinzip des Lebens zu akzeptieren.
Die Materialfrage ist immer wieder ein Thema bei Einsteiger:innen. Da geht es darum, welche Stifte, Skizzenbücher oder Pinsel sind geeignet? Welche Tipps kannst Du da geben? Mit welchen Materialien arbeitest Du?
Ich arbeite gerne mit wasserfesten Finelinern (0,05 und 0,1) sowie mit Aquarellstiften und -farben. Vorzeichnen mit Bleistift habe ich für mich fast vollständig aufgegeben – bis auf Ausnahmen (lebendige Tiere zeichne ich lieber mit Bleistift). Beim Papier empfehle ich für den Anfang ein nicht zu weißes, gerne auch braunes oder graues Papier. Das Arbeiten mit Weiß für Lichter macht auf getöntem Papier Spaß und ist sehr effektvoll. Ich nehme gerne einfache DIN A5 Skizzenhefte, zum Beispiel die von ars-nova mit naturweißem 100 g/m²-Papier.
Du bist aktiv in verschiedenen Online-Foren (Naturskizzenbuch, Nature Journaling Deutschland …), wie wichtig ist Dir dies? Was vermisst Du dort? Auch im Vergleich zu Face-to-Face-Treffen?
Es ist schön, digital so weit vernetzt zu sein und zu sehen, was andere bewegt und begeistert. Was ich schade finde, ist, wenn in Online-Foren nicht nachvollziehbar wird, wie eine Skizzenbuchseite entstanden ist. Ich finde es wahnsinnig spannend – und hilfreich für Neulinge – wenn Leute berichten, wie sie bei ihrer Arbeit vorgehen. Und wo es Schwierigkeiten gab und wie diese Überwunden wurden.

Treffen vor Ort haben eine andere Qualität. Der Prozess des Entstehens der Skizzenbuchseiten wird sichtbar und erlebbar. Das gemeinsame Staunen ist sehr verbindend. Der Austausch ist eine Bereicherung, die über das eigene Führen des Journals hinausgeht. Und im Gespräch mit den anderen ergeben sich immer neue Sichtweisen, Tipps und Anregungen.
Du veranstaltest nun Nature Journaling Workshops und gibst auch Kurse in Köln. Kannst Du uns beschreiben, wie ein solcher Workshop bzw. Kurs bei Dir abläuft?
Die Vorbereitung der Workshops mache ich oft mit Hilfe von KI (kein Witz – die Ergebnisse sind erstaunlich gut). Ich schreibe mir dann das Programm nach meinen Vorstellungen um.
Wir starten mit einem „Ankommen am Ort“ (z.B. eine Sinne-Übung). Nach einer Einleitung zum Thema machen wir uns locker mit einem Warm-up, wie zum Beispiel „Blindzeichnen“ (das löst die Zeichenhemmung). Dann folgt eine längere Übung im Skizzenbuch. Wichtig ist mir der gemeinsame Austausch. Gruppenübungen verstärken das Eintauchen ins jeweilige Thema. Die Teilnehmenden inspirieren sich dabei gegenseitig. Zum Schluss gibt es eine kleine gemeinsame „Ausstellung“ der entstandenen Arbeiten.

Beim Nature Journaling wird oft gesagt: Wir zeichnen um zu lernen. Wie siehst Du dies? Kann man dies anderen gut vermitteln?
Zeichnen scheint zunächst nur auf den Sehsinn bezogen zu sein. Es ist aber viel mehr. Ich würde sagen: Wir zeichnen, um zu begreifen. Was ich zeichne, muss ich durchdringen. Gleichzeitig kann ich es einfacher zeichnen, wenn ich es gedanklich verstanden habe. Zeichne mal ein Fahrrad aus dem Kopf – da merkt man schnell, dass es einer gewissen Vorstellung bedarf, wie ein Fahrrad funktioniert, um es aus dem Kopf heraus zeichnen zu können. Oder eben umgekehrt einer genauen Beobachtung eines realen Fahrrades.
Ohja, dass mit dem Fahrrad ist ein gutes Beispiel, vergisst man die Kette zu zeichnen, tut sich gar nichts. Danke für das spannende Interview, die Einblicke und natürlich auch für Deine Journalseiten. Deine Ansicht zum Fehlen der Nachvollziehbarkeit bei der Präsentation von Journalseiten in Onlineforen kann ich gut nachvollziehen, die Geschichte rund um die Seite mit allen Irrrungen und Wirrungen fände ich auch interessant. Anderseits zeigt sich auch hier, welche Vorteile Treffen vor Ort haben. Treffen vor Ort mit anschließender Onlinepräsentation sind auch gute Rückkopplungen.
Zum Schluss möchte ich noch auf die Webseite von Sibylle hinweisen.
Webseite: sibylle-kamphuis.de
