Interview #3: Susanne Wießner-Grüning

Welche Erfahrungen machen andere mit Nature Journaling? Hier sprechen Nature Journalerinnen und Journaler darüber wie sie zum Nature Journaling gekommen sind, wie sie ihre ersten Seiten erstellten und wie sie nun Journalen oder welche Materialien sie verwenden. Hier erhältst Du Tipps aus erster Hand: Inside Nature Journaling

Interview mit Susanne Wießner-Grüning, einer Pilzkennerin, Nature Journalerin und Urban Sketcherin vom ChapterUrbansketchers Mittelhessen“.

Du zeichnest nicht nur in der Natur, sondern bist auch als Urban Sketcherin aktiv. Welche Unterschiede gibt es da?

Susanne Wießner-Grüning: Nun, beim Urbansketching geht es zwar auch um beobachten und wiedergeben der Umgebung, allerdings wird Urbansketching als „Reportage mittels Stift und Papier“ gesehen. Es heißt „Wir zeigen die Welt, Zeichnung für Zeichnung.“ Beim Nature Journaling geht es ja nicht nur ums Zeichnen, es wird gemessen, beschrieben, verglichen, eine Karte hinzugefügt etc. also die Beobachtung geht weiter in die Tiefe, würde ich sagen.

Zeichnung von Susanne Wießner-Grüning von einem Termin der Urbansketchers Mittelhessen in Wetzlar.

Die Urban Sketchers treffen sich in Gruppen in Städten und zeichnen dort vor Ort. Sind das regelmäßige Termine oder einzelne Veranstaltungen?

In unserem Chapter, den „Urbansketchers Mittelhessen“ sind es regelmäßige Termine. Wir versuchen, jeden Monat ein Treffen an unterschiedlichsten Orten der Region auf die Beine zu stellen. Außerdem gibt es noch Treffen anderer Chapters in Deutschland und weltweit. Befindet man sich dort in der Nähe, kann man Kontakt aufnehmen und mitzeichnen.

Wie bist Du auf Nature Journaling aufmerksam geworden?

Tatsächlich während einer Veranstaltung der Urbansketchers Mittelhessen in Marburg, als ich dort eine Sketcherin kennenlernte, die beides praktiziert. Ich zeichne selbst viel in und aus der Natur, besonders Pflanzen und Pilze. Aber das Konzept des Natur Journalings hat mich gleich interessiert.

Blick über die Dächer von Marburg: Zeichnung von Susanne Wießner-Grüning bei einem Termin der Urbansketchers Mittelhessen.

Hast Du dann direkt mit einem Journal angefangen?

Die Natur ist von jeher eines meiner liebsten Motive. Allerdings hatte ich bisher kein Natur Journal. Mein erstes Journal begonnen habe ich einen Monat später, als ich mit Corona ans Bett gefesselt war, aus meinem Wohnzimmerfenster hinausschauend. Allerdings fiel es mir schwer (und das tut es immer noch), mich von der rein zeichnerischen Seite mit einem gewissen Hang zum Perfektionismus zu trennen. Aber ich arbeite an mir.

Nature Journaling ist ja mehr als das Führen eines Skizzenbuchs mit Naturdingen. Was reizt Dich an der Naturforscher- bzw. wissenschaftlichen Seite von Nature Journaling?

Ich bin zwar von Natur aus neugierig und will vieles wissen, aber erst die Beschäftigung mit Pilzen (etwa seit 2013) und dann im letzten Jahr die Entdeckung des Nature Journalings für mich brachte mich zu der wisschenschaftlicheren Beobachtung und Wiedergabe des Gesehenen und den dazugehörenden Fragestellungen. Auch hier stehe ich noch ganz am Anfang. Nur bei den Pilzen bin ich schon etwas tiefer im Thema.

Die Materialfrage ist immer wieder ein Thema bei Einsteigerinnen beim Nature Journaling. Es geht darum, welches Skizzenbücher sind geeignet, wie kann es überhaupt gelingen mit Wasser-, Aquarell- oder Gouachefarben im Journal zu malen? Welche Tipps kannst Du da geben? Mit welchen Materialien arbeitest Du, wenn Du im Freien unterwegs bist?

Hm, das ist manchmal schon eine „Glaubensfrage“. Ich versuche, das mal aufzudröseln: Vorneweg, zu glattes Papier ist für keine Zeichenmethode günstig, das sollte nicht verwendet werden.
Wer von vorneherein auf nasse Farbe verzichtet, kann auch mit einem Schulheft auf Motivsuche gehen, ohne zu verzweifeln. Also, Bleistift, Kugelschreiber, Buntstifte sind die geeigneten Stifte für dieses Medium. Filzstifte sind hier schon wieder zu nass, finde ich. Vorteil der Schulhefte: man kann die Linierung/das Karo als Hilfe fürs Zeichnen und Schreiben nehmen, alles wirkt etwas aufgeräumter. Hierzu empfehle ich jedoch eine Malunterlage (ein Stück feste Pappe o. ä.), da das Heft sehr instabil ist und eine feste Unterlage benötigen, wenn es z. B. auf dem Schoß liegt.
Dann gibt es mittelpreisige Skizzenbücher, die absolut geeignet für die meisten Farben sind.
Auf ganz billige Aquarellbücher würde ich verzichten (schon probiert), das Papier saugt so stark, dass kein vernünftiger Farbauftrag möglich ist, noch nicht mal mit Tinte. Wichtig ist, dass es sich auch in der Mitte gut aufschlagen lässt, damit man ordentlich drin zeichnen und schreiben kann. Alternativ wäre eine Spiralbindung zu empfehlen.

Das „kleine Besteck“ von Susanne Wießner-Grüning. Im Skizzenbuch Zeichnungen zum Pilzfruchtkörper eines Lepista nuda (Violetter Rötelritterling).

Ich gehe meist mit dem „kleinen Besteck“ ins Feld (aber auch zum Urbansketching):

  • Ein Skizzenbuch mit mittelschwerem Papier (ca. 180 g/qm)
  • Bleistift
  • Radiergummi
  • Füller mit wasserfester schwarzer Tinte (alternativ reicht hier völlig ein wasserfester Pigmentliner)
  • Wassertankpinsel
  • Grauer Marker für Schattierungen (alternativ ein Wassertankpinsel mit verdünnter schwarzer Tinte)
  • kleine Palette mit Aquarellfarben (für mich mindestens: Gelb, Rot, Magenta oder Pink, Cyan, Indigo und gebranntes Umbra)*
  • Mal-Lappen

Ich sollte mir angewöhnen, zusätzlich Maßband und Lupe einzupacken.

* Diese Farben sind für fast alles ausreichend, besonders, wenn man nur ein bisschen kolorieren möchte, um die Idee eines Motivs festzuhalten. Aus Gelb, Rot und Blau lässt sich vieles mischen, aber gebranntes Umbra und Indigo zusammen ergeben alle benötigten grau- und schwarz-Töne, je nach Mischung kühler oder wärmer.

Wenn ich eher „künstlerisch“ unterwegs bin, nehme ich gerne zusätzlich einen Aquarellblock, Wasser, normale Aquarellpinsel und eine größere Farbauswahl mit.

Verschiedene Aquarellfarbkästen von Susanne Wießner-Grüning.

Mittlerweile gibt es zahlreiche Foren im Netz bei denen der Austausch möglich ist. Wie wichtig ist Dir der Austausch mit anderen? Was denkst Du über gemeinsame Exkursionen? Oder wäre die eine Form wie bei den Urban Sketchern lieber?

Gemeinsames zeichnen und beobachten ist immer sehr fruchtbar, weil man sich austauschen kann. Man sieht, wie andere Menschen an ein Motiv/Objekt herangehen, wie sie mit Materialien umgehen, welche Techniken sie anwenden. Allerdings bin ich auch immer gerne einmal alleine unterwegs.
Auch beim Urbansketching gibt es Workshops, die von wunderbaren Künstlern gehalten werden und auch größere Veranstaltungen, große und kleine Treffen.

Welche Inspirationen holst Du Dir? Welche Webseiten besuchst Du? Kaufst Du Dir spezielle Bücher (auch außerhalb vom Nature Journaling)? Wie sind Deine Erfahrungen damit?

Inspiration hole ich mir tatsächlich sehr viel online. Oft gebe ich bei Suchmaschinen oder Youtube entsprechende Suchbegriffe ein und lasse mich durch das so gefundene Angebot an Seiten und Videos treiben. Ich wünschte, solche Möglichkeiten hätte ich schon als junger Mensch gehabt, dann sähe es mit meinem künstlerischen Können vielleicht anders aus.
An Büchern kaufe ich zumeist Sachbücher, also über Pilze, Flechten, Vögel, Insekten etc.
Außerdem mag ich Onlinekurse, wie z. B. Domestika und andere Anbieter, da gibt es Kurse zu allem Möglichen, die meist sehr fundiert sind.

Seite aus dem Nature Journal von Susanne Wießner-Grüning zu Lavendel.

In Deutschland ist Nature Journaling noch recht unbekannt. Es gibt viele Urban Sketcher und viele die über große Naturbeobachtungsplattformen ihre Bilder teilen, aber Nature Journaler sind selten …

Ich fände eine größere Nature Journaling Gemeinde prima. Trotz großer Naturforscher und -forscherinnen aus dem deutschsprachigen Raum hat das Nature Journaling hier keine so starke Tradition wie in anderen Ländern. So gibt es nicht mal einen wirklich treffenden deutschen Namen für diese Technik der Naturbeobachtung.
Ich überlege schon, mit Nature Journaling an unsere Grundschule und sogar an den Kindergarten heranzutreten und entsprechende Exkursionen anzubieten. In der heutigen Zeit sind die Kinder so weit weg von der Natur, wie noch nie.
Allerdings liegt das noch in der Zukunft. Geeignetes Material muss erdacht und ein Konzept für die unterschiedlichen Altersstufen ausgearbeitet werden. (In diesem Jahr wird das noch nichts, da privat noch einiges an zeitraubenden Projekten ansteht.)
Aber wie sollte man unseren Jüngsten Achtsamkeit für andere Wesen und die Liebe zur Natur besser beibringen, als durch Beobachtungen und die Zufriedenheit die sich einstellt, wenn man etwas entdeckt hat, was man vorher nicht sah oder beachtete? Und aus kleinen Naturforschern können große Naturliebhaber werden …

Das kann ich mir auch gut vorstellen. Herzlichen Dank Susanne für das interessante Interview und natürlich für die Einblicke in Deine Skizzenbücher und Deine Materialien.