Das Buch „Bullau. Versuch über Natur“ von Andreas Maier und Christine Büchner erschien erstmals 2006. Mein Buch ist von 2017 (insel taschenbuch 4581). Maier ist Schriftsteller. Brüchner ist Theologin. Hier schreiben sie als „wir“ oder als „einer von uns beiden“.
Das Buch ist kein Naturbuch-Lehrbuch im herkömmlichen Sinne. Es ist beispielsweise kein Nachschlagewerk. Es ist eigentlich eine Aneinanderreihung von Anekdoten. Geschichten, die die beiden Autoren oder einer von beiden, so oder so ähnlich erlebt haben und sich darüber Gedanken gemacht haben.
Dabei bringen sie Dinge zu Sprache, bei denen ich amüsiert lächeln musste, und aufgrund deren ich mir ein paar Gedanken zur Artenbestimmung gemacht habe.
Diese Stelle gleich zu Beginn des Buches:
„Man erlebt auch immer wieder, daß man mit den besten Bekannten zufällig und absichtslos irgendwo spazierengeht und diese völlig verblüfft sind, wenn man plötzlich auf Seifenkraut verweist. Seifenkraut, sie wissen gar nicht, ob es das gibt oder ob man sie in diesem Augenblick auf den Arm nimmt.“ (Seite 7)
Seifenkraut ist in Eurasien weitverbreitet, steht bei der Wikipedia zum Gewöhnlichen Seifenkraut. Sicher habe ich es schon gesehen, es ist ja „weitverbreitet“ und muss somit an jeder Ecke stehen. Seifenkraut ist Seifenkraut. Das muss gelernt werden, wie bei der Holzplatte mit vier Beinen, die alle Tisch nennen.
Wer sich mit der Natur beschäftigt, eignet sich zwangsläufig, ja manchmal geradezu zwanghaft, diese Namen an. Besser noch man kennt die wissenschaftlichen Namen, dann ist man auf jedem Fall auf der sicheren Seite. Reden wir also von Saponaria (Seifenkräutern).
Wenn man die Namen nicht kennt, dann ist es leicht, von anderen auf den Arm genommen zu werden.
So beispielsweise mit dem Nelkenfalter, dem Taubenhaucher, den Bleiläusen, dem Rheinischen Zankapfel oder den invasiven Sumatraschaben („Sie mal dort eine Sumatraschabe, die sind in den letzten Jahren zu uns eingeschleppt worden …“). Weiß mans?
Andreas Maier und Christine Büchner zeigen dies nochmal am Beispiel des Kleibers.
„Da, ein Kleiber!
Unser Bekannter klappte sein Buch zu […], schaute uns an und sagte plötzlich sehr unvermittelt: Wißt ihr, manchmal glaube ich, ihr erfindet das alles. Ihr erfindet alle diese Namen. Nein, sagten wir, da sei er doch, der Kleiber. […] Er: Das ist ein Spatz. Das ist bestimmt ein Spatz oder sonst etwas Banales, und jetzt habt ihr bloß wieder so einen Namen erfunden, so wie Hechelgelbling oder Lümmeldolde.“ (S. 10/11)
Von der Unkenntnis über die Namen von „unbestimmten“ Pflanzen, Tieren oder Pilzen leben ganze Internetforen. Ein fiktives Beispiel: „Nun ist Schwarmwissen gefragt. Schaut ich habe dies bei uns fotografiert. Was könnte das für einer sein? Mein Mann meinte, dass sei eine Rotmeise. Das glaub ich nicht. Was meint ihr?“ – 2 Minuten später: „[ Bling ] Ein Rotkehlchen“ – 3 Minuten später: „[ Bling ] Nein, das ist ein Dompfaff“. Wenig später: „[ Bling ] Ja stimmt.“ Dann: „[ Bling ] Ich meine es wäre ein Gimpel … (unsicher)“. Eine Stunde später: „[ Bling ] Jetzt erst gesehen. Gimpel, auch Dompfaff genannt. Definitiv!“. Am Tag danach: „[ Bling ] Danke! Wieder was gelernt (und mein Mann auch 😉 ).“ Ja, etwas gelernt und darum geht es doch schließlich.
Vordergründig reagiert der Bekannte in der zitierten Passage etwas komisch. Was er namentlich nicht kennt bzw. noch nie gesehen hat und namentlich nicht kennt, gibt es für ihn auch nicht. Aber dadurch bleibt die Passage mit dem Kleiber doch witzig, finde ich. Auch wegen der beiden Wortschöpfungen „Hechelgelbling“ (später gab es einen Blog mit diesem Namen) und „Lümmeldolde“ (beide Maier/Büchner, 2006).